Heiliges Varanasi
Varanasi ist die Essenz Indiens, lesen wir und sind sehr gespannt auf das, was uns erwarten wird. Wieder einmal steigen wir in den Nachtzug und verlassen Kalkutta pünktlich. Es wird langsam hell und draußen geht die Sonne auf als wir uns Varanasi nähern. Es ist irgendwie diesig, nebelig, wie sich herausstellt ist es eigentlich dichter Smog. Varanasi, eine Stadt mit zu vielen Menschen, mit zu viel Verkehr und deshalb auch mit zu viel Smog.
Knauserig wie wir sind, sparen wir uns das Tuk-Tuk und quälen uns 30 Minuten lang an Straßenrändern, vorbei an Kuhkacke und Müll, Auspuffluft atmend bis wir unser Hostel erreichen. Es gibt keinen Strom als wir ankommen, also auch kein warmes Wasser und wir haben schlechte Laune. Wir bestellen Essen ins Hostel per Swiggy-App, was hervorragend funktioniert, und verlassen unser Zimmer eigentlich nicht mehr.
Morgens gibt es Frühstück auf der Dachterrasse und dann starten wir unseren ersten Rundgang. Varanasis Straßen und der Verkehr sind wirklich verstörend und mega stressig. Es gibt wenig vor und zurück, viel Gehupe und ganz viel Staub, der sich über alles legt. Wenn man in Richtung Altstadt und in die kleinen Gassen geht, eröffnet sich einem eine neue Welt. Hier funktioniert kein Google Maps und man verirrt sich zwischen Süßigkeitenläden, muslimischen Einkaufsgassen, den kleinen Geschäften, die mit Matratzen ausgelegt sind, in denen man die berühmten und teuren Varanasi-Sarees erstehen kann (das sind richtig schwere und hochwertige Gewänder, die im ganzen Land bekannt sind).
Wir schaffen es und finden wohin wir in Richtung Ganges gehen müssen, zu dem heiligen Fluss der Hindus und leider auch einem der dreckigsten dieser Erde. Die sogenannten Ghats, die Treppen und Terrassen, die zum Fluss führen, sind geschäftig und mancherorts wiederum so friedlich, dass man das Gefühl hat, man sei in einer anderen Stadt.
Varanasi ist eine der ältesten Städte der Welt und ist in jedem Falle eine der heiligsten. Buddha hat hier seine ersten Worte nach seiner Erleuchtung gesprochen, weshalb Buddhisten aus aller Welt zum Tempel von Sarnath pilgern. Diesen Tempel besuche ich mit Sotiris, den wir im Hostel kennengelernt haben…eine Oase der Ruhe!
Für Hinduisten ist Varanasi ebenfalls ein wichtiger spiritueller Pilgerort, den jeder Hindu einmal in seinem Leben besucht haben sollte. Hier im Ganges waschen sich die Menschen die Sünden weg und nehmen an diversen Ritualen teil, sprechen mit den vielen spirituellen Führer, die hier leben, geben den Armen Almosen für gutes Karma, etc. Außerdem ist Varanasi für sie der ideale Ort zum Sterben. Wer hier oder in der Nähe stirbt und hier verbrannt wird, bricht den Kreislauf der Wiedergeburten und findet seinen Frieden. Die Asche wird in den Ganges gestreut und das ist die höchste Ehre, die man einem Familienmitglied erweisen kann. So kommt es, dass es in Varanasi zum Einen viele totkranke Inder gibt, die für ihre letzten Tage hierherkommen, um zu sterben. Zum Anderen ist der Tod eine allgegenwärtige Präsenz, die selbst uns Reisenden nicht verborgen bleibt.
Ich kann gar nicht sagen, wie oft wir Gruppen von Männern gesehen haben, die singend und schnellen Schrittes durch die Altstadt marschieren mit einer Bahre auf den Schultern und einem mit Tüchern bedeckten Kadaver. Sie bringen ihre Toten zu einem der beiden Burning Ghats, wo das ewige Feuer jeden Tag seit tausenden von jahren egal zu welcher Jahres- oder Tageszeit brennt.
Touristen sind auf dem Burning Ghat erlaubt, aber Fotos dürfen wir ausdrücklich keine machen. Auch werden wir gebeten respektvoll Abstand zu den Familien zu halten. Hier gibt es keine Frauen, ich bin alleine unter Männern. Die Kadaver kommen im Minutentakt getragen von ihren männlichen Freunden und Familienmitgliedern. Die Barre wird runter zum Ganges getragen, der Körper gewaschen und von den meisten Tüchern befreit. Ein weißes Leinentuch bleibt und es wird Holz aufgestapelt, was überall auf dem Ghat gelagert und verkauft wird.
Hier verbrannt zu werden ist teuer für die Hindus und dennoch herrscht hier eine Geschäftigkeit, die ich nicht zu beschreiben vermag. Der tote Körper wird auf die Feuerstelle gelegt, die Verwandten singen, laufen um den Toten herum und benutzen Brandbeschleuniger bevor sie den Körper entzünden. Es riecht keineswegs unangenehm, auch wenn hier mehrere menschliche Körper brennen und der Wind die Asche in unsere Haare wirbelt. Ich finde alles hier einfach nur friedlich, gar nicht abstoßend, sondern friedlich! Das Fett tropft an einigen der Feuer auf den Boden und wir drehen um, gehen weg, verlassen den heiligen Ort, wir haben genug gesehen.
Abends findet auf dem Hauptghat jeden Tag eine Lichterzeremonie statt, bei der angehende Priester, ein durchchoreographiertes Ritual vornehmen und den heiligen Fluss und die verschiedenen Götter um ihren Segen bitten. Wer daran teilnimmt, dem wird dieser Segen zuteil, weshalb es immer sehr voll ist. Wir lassen uns das nicht entgehen unds ehen dabei zu, wie die jungen Männer singen, mit dem Feuer tanzen, Blumenblätter in die Luft werfen und in Muschelhörner blasen.
Varanasi ist vor allem anstrengend und stressig, aber bei den Ghats kommt alles zur Ruhe. Vor allem morgens zum Sonnenaufgang kann man vom Boot aus sehen, wie die Leute zum Fluss kommen, baden, sich waschen, ihre Kleider waschen, wie Babas meditieren und Touristen von fliegenden Händlern bequatscht werden. Varanasi ist verrückt, aber die Stadt hat uns echt berührt.
Hier mache ich das happiness program eines weltweit bekannten Gurus. Ich wollte das schon immer einmal machen und Varanasi schien der perfekte Ort dafür. Mit vier weiteren Teilnehmenden (alles Inder) sitze ich also im Schneidersitz vor unseren Lehrern, die uns Meditation und Yoga-Praktiken näherbringen. Die drei Tage gehen schnell vorbei, aber ich habe so viel für mich mitgenommen und gelernt. Ich kann Meditation nur jedem ans Herz legen. Ich starte seitdem leichter in meine Tage.
Nach all diesen spannenden Erfahrungen und der vollen Latte Indien, die uns hier getroffen hat, nehmen wir ein Tuk-Tuk (die Strecke laufe ich nicht nochmal!) zum Bahnhof. Wir haben uns vorgenommen, eine Nachtfahrt mit dem Zug nach Agra zu machen, den Tag dort zu verbringen und abends in den nächsten Nachtzug nach Jodhpur zu steigen. So einen Stress geben wir uns normalerweise nicht, aber nun ist schon der erste Dezember und unsere Tage sind gezählt!